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Avahan: Meine erste Mauerwegumfahrung

Der Wecker klingelt 3h morgens am Mittwoch. Noch ist es dunkel am 3.Juli, mache mich kurz frisch, koche Haferflocken in 500ml Sojamilch. Packe Haferriegel, Schokolade und dazu dann 3l Orangensaft und Apfelsaft, dazu für den Fahrradhalter 1,5l Wasser – es soll warm werden. Ich ziehe meine Radschuhe und Radlerhose an, nehme meinen Rucksack. Checke kurz: Ersatzschlauch und Notfallwerkzeug, Unterhose, Ersatzhose, Regenschutz.

So geht es auf mein Rad und in die Dunkelheit fahre zur Wahrschauer runter. Und dann auf die Piste! Die Dämmerung geht auf noch fahre ich mit Licht. Treptower, irgendwelche betrunkenen Partymenschen und immer den Grau-Hell beschrifteten Mauerweg-Schildchen entlang, immer aufgestellt, wenn die Mauer dort ne Biegung machte. Auf der Lenktertasche eine Karte mit dem Strassenverlauf. Ich komme immer vorbei an Tafeln wo Flüchtlinge die Mauer zu überwanden versuchten – es halt versuchten und in Gedenken steht dort eine dreiteilige Tafel mit Namen – nicht die der Täter… Höchstens die wenigen Wachtürme.

Im langsamen Tempo erwacht der Tag es wird langsam auch wärmer. Gleichgesinnte überholen mich mit ihren Rennrädern, manche sah ich auf meinen Trainingsfahrten schon mal – eine Mauerweg-Community. Ich nehme mir vor nur alle 5-10km anzuhalten – und immer wieder was essen und trinken bei 160km 20stops. Die Erfahrung plötzlich unterzuckert und ausgetrocknet zu sein wollte ich tunlichst vermeiden – Hungerast und nix geht dann mehr… Ich fahre mein Tempo und so erreiche ich entlang des Teltowkanal gen dem Flughafen Schönefeld: Waltersdorf… Wenige Tage zuvor bekam ich dort plötzlich Durchfall, daher auch später Wechselklamotten im Gepäck… Abbruch meines Vorhabens. Heute halt der 6.Versuch.

Es ist schön so die Abschnitte alle wieder zu sehen und zu merken was ich fuhr auf den Vorbereitungstouren. Es geht an Bohnsdorf vorbei und dann in die Pampa. Welche Vollidioten haben bloß den Weg nicht gepflastert! Ich bin froh fette Reifen aufgezogen zu haben. Im Grunewald auf den Auf und Ab mit Sandwegen eine wichtige Maßnahme. Dünnste Rennradbereifung geht gar nicht. Die Halbprofis die mich im frühen noch überholen fahren alle mega moderne Gravelbikes in professionellem Radoutfit. Tja- da bin ich mit meinem Ostrad-Stahlrahmen nicht so leicht aufgestellt – ankommen ist mein Ziel und Tempo 15 ist ja auch schon gut. Irgendwann sah ich bei Schönefeld das Richtungsschild mit 80km bis Potsdam, dem Weg einfach folgen und die Gedanken einen lauf lassen.

Mich hatte eine frühere Partnerin inspiriert auf Strecke zu gehen. Ich las was in Facebook von: „ich habe meinen ersten Halbmarathon gelaufen“, danach dann von einem Marathon und letztlich den 100Meilen-Lauf Berlin Als ich das las dachte ich nur, vielleicht schaffe ich das auch? Hatte ich mich doch von meiner Neurologin zu Impfung drängen lassen, brach zusammen konnte kaum gehen oder meine Treppen steigen und landete in einer Reha-Massnahme in Brandis bei Leipzig. So trainierte ich in 5Etappen auf dem Mauerwege wieder Rad zu fahren. Und in mir brannte es: ich schaffe es, ich will meinen Körper spüren. Tja, so fuhr ich langsam stetig immer weiter weiter weiter weiter. Nach Teltow auf zum Wannsee.

Die Glienicker Brücke erinnert: ach ja, hier wurden Geschichten mit Spionen geschrieben. Dreilinden: Erinnerungen an meine wenigen Transitfahrten und wie ich den Vopos meine Passierscheine aus dem Reisepass übergab und tief durchatmete, wenn man dann in West-Berlin einfuhr. Alles Geschichte. Aber beim vor sich hin radeln kommen viele Erinnerungen und Gedanken. Im Grunewald heißt es auf Sand konzentriert zu bleiben und im Auf und Ab das Rad zu beherrschen, manchmal rutscht es, cool bleiben und schleudernd das Rad ausbalancieren… Dann der Blick auf den Wannsee und die Fähre nach Kladow. Eine willkommene Pause, denn das heißt erstmal auf die Fähre und gucken. Es gibt einige Radler und bewundernde Menschen, die nicht glauben können, an einem Tag den Mauerweg zu fahren. Na ja, vielen Tragen Bäuche vor sich, trödeln und sehen alles andere als bewegungsfreudig aus…

Und es heißt nach dieser Halbzeitpause: weiter weiter weiter.

Komisch, je weiter die Fahrt umso leerer der Kopf, die Beine strampeln und strampeln. Spandau: Tage zuvor fuhr ich fuhr ich mir einen Nagel in den Hinterreifen. Ein Busfahrer pickte mich auf und fuhr mich verbotenerweise samt Rad nach Spandau… Heiligensee, Frohnau am Entenschnabel vorbei. Ich diesem Stadtgetümmel kaum zu erahnen, dass hier mal ne Mauer stand – ab und an erinnert der Doppelpflastersteinstreifen daran. Glienicke Nordbahn, es wird real, dass ich es schaffen würde! Hier muss ich bei den knackigen Steigungen echt absteigen und mein Rad schieben und ich sehe Radler die scheinbar einfach den Weg hochbrettern… Ich halte durch.

Und plötzlich geht es mühelos voran und ich werfe Traubenzucker mit Orangensaft in Mengen ein. Schönholz und die Bornholmer erinnert an die erste Grenzöffnung. Vielleicht noch 10-15km habe ich vor mir, gedenke des Bundeswehrkrankenhauses wo ich so gründlich untersucht wurde. Dann das Regierungsviertel! Ich schaue kurz und denke: gleich bin ich durch. Reichstag, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, Kochstrasse, Zimmerstrasse. Ich bin in Kreuzberg. Die Beine haben keine Schmerzen mehr. Das Glück macht sich breit gleich durch zu sein. Am Engeldamm kürze ich zum schlesischen Tor leicht ab und so sehe die East side Galery von der Kreuzberger Seite. Am U-Bahnhof Warschauer halte ich und breche haltlos in Tränen aus.

Ich hatte nie gedacht, je wieder mit meinen Beinen so etwas zu erreichen. Anschließend fahre zu meiner Männergruppe nach Moabit mit der U-Bahn, nun versagen die Beine. Und als ich die 5 Etagen in den Gruppenraum hochschaffte bejubeln mich meine Männer mit Konfetti und Umarmungen und wieder weine ich los… Was für ein Empfang. Meine erste Mauerumradelung.

Einen Monat später besuche ich die Mauerläufer am Verpflegungspunkt Marienfelde. Dort steht meine Expartnerin und ich denke nur: puh, wie die laufen und fahre denen bis in deren Ziel dann hinterher. Was für Menschen und eine Stimmung,

100 Meilen Berlin! Und das nächste Ziel: die MSR300 mit ihren 300km durch die Mecklenburger Seenlandschaft… Ist ja nur etwa das doppelte, allerdings auf Straße.