Avahans erster Radmarathon über 300 Kilometer: „Ich wollte es wagen!“
Die Mecklenburger Seenrunde – genau genommen 307 km, 1.450 Höhenmeter – in weniger als 24 Stunden.
Puh! Wie soll ich da anfangen zu berichten? Dietmar meinte: klar, aber bitte verständlich. Also – verstanden hat mich kaum jemand, dieses Projekt anzugehen. Meine Ärzte rieten ab, die meisten sagten: Warum in 28 Stunden? Du könntest die Strecke auch bequem in Etappen fahren – also in fünf Tagen… Nur meine Bremer Freundin und Hausärztin unterstützten mich und gaben mir Rückhalt.
Nee, ich bin und bleibe Sturkopf – und ich wollte es wagen: meinen ersten Marathon überhaupt. Laufen bzw. gehen kann ich ja kaum noch Strecken über 5 km. Meine Erinnerungen an die wunderbaren Bergtouren in den Dolomiten und Alpen mit bis zu 30 km sind schon mehr als zwölf Jahre alt. Seit meinem Beinahe-Absturz 2013 habe ich mich vom Bergwandern verabschiedet. Dann kam die Diagnose meiner schweren Behinderung – und letztes Jahr meine Mauerweg-Umfahrung! Wie meinte ich damals im Bericht: Die MSR300 – ist ja nur etwas mehr als das Doppelte… Und Dietmar will den Marathon laufen.
Also machte ich mich an das Projekt: ein gebrauchtes Rennrad gekauft, das leider ziemlich viel Arbeit erforderte, um es wieder in Stand zu setzen. Damals hatte ich noch wenig Ahnung, wo man überall beschissen werden kann. Heute restauriere ich professionell Räder und baue geniale Laufräder – dafür könnten sich andere mindestens zwei komplette Fahrräder bei Stadler kaufen. Es hat sich gelohnt! Allerdings glich meine Wohnung zeitweise eher einer Fahrradwerkstatt… nicht sehr einladend.
Dann natürlich die Klamotten, die ich teils geschenkt bekam. Schon ungewohnt, immer diese Windel im Schritt… Aber konsequent. Dazu diese Klicks unter der Sohle meiner drei Radschuhpaare – mit manchem Sturz. Das will gelernt sein. Und so fuhr ich bei Wind und Wetter meine Touren: 50, 60, 80, 120 km. Regenfahrten, und bei Wind auf dem Elbdeich (puh, das ist anstrengend! Danke an den Ultramarathonfahrer, der mir 30 km Windschatten bis nach Rathenow gewährte…). Das Berliner Umland hat einiges zu bieten, und es gibt viele Radverrückte. Oder gar der Oderbruch bis nach Polen. Das Umland wurde von mir „unter die Räder genommen“. Immer mit meinem Rucksack: Proviant, Wechselhose, Regenjacke, Werkzeug, Luftpumpe und Ersatzschlauch – so wie es die Ultralangläufer oder -radler eben machen. Ich könnte von einigen Pannen berichten.
Aber: Auf den 300 km selbst ereilte mich keine einzige Panne! Ich hatte zuvor viele Szenarien durchgespielt und ausgemerzt. Auf meine Technik und das Rad konnte ich mich mittlerweile verlassen. Aber auf der MSR fahren auch welche mit, die nichts anderes tun, als zu reparieren – auf Brompton-Klapprädern! Und die fuhren locker nebenher. Die Dinger kannte ich bis dahin gar nicht.
Ich startete im ersten Startblock, um 20 Uhr. Beim Einrollen in den Startbereich wurde mein Licht kontrolliert – und ging erst mal nicht. Beim Ausladen aus dem Auto hatte sich einiges verstellt. Also Dynamo neu ausgerichtet – und Licht ging! Rein in den Startblock mit 49 anderen – gleich nach hinten einsortiert. Zu meiner Überraschung begrüßte mich meine Hausärztin mit ihrem Freund! High Five – volle Bewunderung: „Du schaffst das!“ Was für ein Motivationsschub.
Und dann ging es los: 10, 9, 8… Startschuss zur MSR 2025! Wir rollten im Jubel der Zuschauermenge los und raus aus Neubrandenburg. Alle 50–60 km sollte es Verpflegungsstationen geben, die erste am Feldberg. Doch gleich im ersten Anstieg konnte ich nicht in meinen Berggang schalten – und stürzte. Also schob ich gleich zu Beginn. Na, das konnte ja was werden, wenn mir ausgerechnet die kleinsten beiden Gänge fehlen… Beim Ausladen hatten sie sich verstellt. Nach dem Schieben lief ich zunächst abgehängt bis zum höchsten Punkt – und rollte los. Da überholte mich die zweite Startgruppe à 50 Fahrer mit atemberaubendem Tempo in Zweierformation – wwwwhhh, wwwwhhh… Die bretterten, was das Zeug hielt.
Ich nahm meine Fahrt wieder auf – ankommen war ja mein erklärtes Ziel. Und es waren wohl 3.500, die gestartet wurden. So ging es mit vielen anderen zum Feldberg. Mal im Windschatten, dann wieder alleine. Und mit lautem Gebrüll „Rechts halten!“ überholten mich Trosse von Radlern links und rechts. Spur halten, weiter treten, bloß nicht schlenkern. Ich hielt stoisch meinen Lenker – und mit gefühlt 5–10 cm Abstand wurde ich überholt. Was für Kraftmaschinen… Bahnfahrer, dachte ich bewundernd.
Hinter dem Feldberg kehrte irgendwann die Dunkelheit ein. Ich richtete mein Licht – und fuhr surrend mit den anderen. Eine lange rote Lichterkette zog sich die Straße entlang. Das Sprechen verstummte – und so ging es viele Kilometer in die Schwärze: Meditation pur! Magisch. Einmal versteuerte ich mich und stürzte – sofort halfen mir welche. Und weiter ging’s! Verpflegungspunkt Neustrelitz erreichte ich nachts um ein Uhr – kurz essen, trinken, weiter. Was für eine Magie die Nacht hat! Für mich das Highlight der MSR.
Mit dem Morgengrauen erreichte ich nach 156 km Röbel. Weil es Halbzeit war, ließ ich meine leicht verspannten Beine massieren. Und weiter ging’s! Weiter, weiter, durch die lang geschwungenen Straßen im Auf und Ab der schönen Landschaft. Die ersten Hochgeschwindigkeitszüge holten mich ein. Und wieder: Spur halten, weiter treten, die Radler vorbeidonnern lassen. Was für ein Anblick! Hatte ich in der Nacht nichts erkennen können, so erwachte nun die wundervolle Landschaft für mich.
Es kam heftiger Wind auf, aber irgendwie war immer jemand da, der Windschatten bot. Bei km 195, in der Nossentiner Hütte, gab es Service von den Jungs und Mädels der Vätternseerundfahrt: ein schwedisches Frühstück und heißer Blaubeertrunk! Ich stärkte mich und ließ mich nochmals massieren – was für eine Wohltat. Dort, erfuhr ich, hat die MSR auch ihren Ursprung.
Dann kam für mich der zähe Teil! Über 200 km war ich in den letzten Jahren nie gefahren. „Rauf fahren, runter rollen“ – so mein Motto. Auf den letzten 20 km ins Ziel musste ich mein Rad den letzten Anstieg hinter Chemnitz hochschieben. Viele hielten, einer nahm meinen Rucksack und fuhr ihn in den Zielbereich. Platt wie ich war, ließ ich mir Powergele und Riegel zustecken und versicherte: Ich komme schon wieder zu Kräften – nicht den Servicewagen rufen! Und dann rollte ich die letzten wohl 20 km ins Ziel. Jubelnd wurden wir „Helden der MSR“ in Neubrandenburg empfangen. Ich bekam die goldene Medaille umgehängt – ich hatte es geschafft. Was für ein Gefühl.
Absteigen vom Rad konnte ich alleine nicht mehr – ich ließ mir helfen. Und dann suchte ich nur noch den Fahrer, der meinen Rucksack ins Ziel gebracht hatte. Er lag auf der Bühne im Zielbereich.
Was für ein Erlebnis!
Ich hatte die fünftletzte noch gewertete Zeit – alle anderen: DNF (did not finish).
Und ich war der erste gehbehindert-schwerbehinderte Teilnehmer, der die MSR geschafft hat.
Wie ich vorher sagte: Gerne können mich alle überholen – ich will nur ankommen.
Und das bin ich.
Willst du mit Avahan Rad-Abenteuer erleben? Hier geht es unserer Telegram-Gruppe für Radler