Der verwunschene Sexshop
Es war Halloweennacht, und Mia, die Teilzeitkraft im Sexshop „Lust & Leisure“ im Prenzlauer Berg, war nicht in Stimmung. Ihre Kollegen hatten sich alle auf mysteriöse Weise krank gemeldet, sodass sie die Spätschicht übernehmen musste.
Sie waren wahrscheinlich auf Halloweenpartys unterwegs, während sie hier festsaß, umgeben von Regalen voller Vibratoren und Neonlichtern, die ein bisschen zu laut summten.
Im Laden war es ungewöhnlich ruhig. Normalerweise hörte man ein leises Summen aus den Auslagen, das Knistern von Plastikverpackungen und vielleicht das Kichern von jemandem, der zum ersten Mal nervös stöberte. Aber heute Abend war die Stille beunruhigend.
Mia sah auf ihr Smartphone, wischte durch Tinder und sah sich an, was die Männerwelt zu bieten hatte. Ihr Freund hatte sie vor kurzem verlassen, weil er, wie er sagte, noch nicht bereit für eine feste Beziehung war. Er war auch ein häufiger Gast im KitKat, Berghain und Insomnia.
Er konnte viel länger feiern, als er im Bett durchhielt. Oft schlief er nach drei unbefriedigenden Minuten ein und schnarchte wie ein Walross, während Mia sich fragte, ob das alles war, was das Leben ihr zu bieten hatte.
Mia lehnte sich an die Theke und scrollte durch ihr Telefon, als sie ein seltsames Geräusch aus dem Hinterzimmer hörte. Sie hielt inne und runzelte die Stirn.
„Was zum Teufel war das?“, murmelte sie leise.
Die Neugier – oder vielleicht auch die Langeweile – siegte, also machte sie sich auf den Weg zum Lagerraum. Als sie die Tür öffnete, wehte ein kalter Luftzug durch die Luft, obwohl die Heizung an war. In der Ecke des Zimmers stand eine kleine rote Schachtel, die ihr ins Auge fiel. Sie konnte sich nicht erinnern, sie jemals zuvor gesehen zu haben.
„Exklusiv! Der Dämonendildo: Für Nächte, die niemals enden!“, prahlte das Etikett in fetten goldenen Buchstaben.
Mia schnaubte. „Im Ernst?“
Kopfschüttelnd öffnete sie die Schachtel und enthüllte einen glatten, schimmernden roten Dildo. Er sah hochwertig aus, aber auch irgendwie seltsam – als würde er fast leuchten. Sie wollte ihn gerade wieder zurücklegen, als sie eine tiefe, dröhnende Stimme hörte, die sie erstarren ließ.
„Endlich … bin ich frei!“
Mia blinzelte und sah sich um. „Was zum …?“
Die Stimme kicherte und zu ihrem Entsetzen – oder vielleicht auch ihrer Faszination – schwebte der Dildo aus ihren Händen und schwebte in der Luft.
„Nach Jahrhunderten, in denen ich in dieser Form gefangen war, hat mich endlich wieder jemand berührt.“
Mia trat einen Schritt zurück. „Okay, was ist das für ein Witz? Ein sprechender Dildo?“
„Ich bin kein bloßes Spielzeug!“, dröhnte das Objekt und drehte sich leicht. „Ich bin Bel’Dickius, der Dämon der Lust und des Verlangens. Vor langer Zeit von einer rachsüchtigen Hexe dazu verflucht, in dieser Form zu leben.“
Mia starrte sprachlos. „Bel’Dickius? Das soll wohl ein Witz sein.“
Der Dildo wackelte empört in der Luft.
„Ich meine es ernst! Ich war einst ein mächtiger Dämon, gefürchtet und verehrt. Aber jetzt … brauche ich deine Hilfe, um den Fluch zu brechen.“
Mia verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. „Okay, nehmen wir an, ich glaube dir. Was genau willst du von mir?“
Der Dämonendildo kam näher und senkte seine Stimme. „Um meinen Fluch zu brechen, musst du mich benutzen. Nimm das Vergnügen, das ich dir biete, voll und ganz an, und du wirst mich aus dieser Gefangenschaft befreien.“
Mia hob eine Augenbraue. „Also, du willst, dass ich dich benutze? Also … du weißt schon … dich benutze?“
„Genau“, sagte Bel’Dickius und seine Stimme strotzte vor Selbstvertrauen. „Das ist die einzige Möglichkeit, meine wahre Gestalt freizugeben.“
Mia starrte ihn – oder es – einen langen Moment an. Ein Teil von ihr wollte das als lächerlichen Streich abtun. Aber ein anderer Teil von ihr war fasziniert. Was, wenn etwas Wahres daran war? Und außerdem … warum nicht ein bisschen Spaß haben? Es war schließlich Halloween.
„Na gut“, sagte sie schließlich und ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Mal sehen, was du drauf hast.“
Einige Zeit später fühlte sich der Raum aufgeladen an, als würde die Luft selbst vor Energie summen. Mia legte sich atemlos zurück, ihr Körper kribbelte noch immer von der Intensität des Erlebnisses. Was auch immer dieser Dämon war, er bluffte ganz sicher nicht.
Plötzlich schwebte der Dildo wieder nach oben und drehte sich immer schneller, bis er zu einem Lichtfleck wurde. Der Raum füllte sich mit einem tiefen, grollenden Lachen, als das Spielzeug heller leuchtete und sich ausdehnte und drehte.
Mia setzte sich mit großen Augen auf, als das schimmernde Licht in einen wirbelnden Wirbel aus Schatten und Feuer explodierte.
Aus dem Wirbel trat Bel’Dickius, seine dämonische Gestalt war groß, muskulös und – nun ja, ehrlich gesagt – ziemlich beeindruckend. Seine Haut war tiefrot, Hörner krümmten sich elegant aus seiner Stirn und seine Augen leuchteten in einem überirdischen Licht. Er war in jeder Hinsicht der imposante Dämon, der er behauptet hatte zu sein.
Bel’Dickius streckte die Arme aus und blickte mit einem zufriedenen Grinsen auf Mia herab. „Du hast es geschafft. Ich bin wieder in meiner natürlichen Gestalt!“
Mia blinzelte und verarbeitete noch immer, was gerade passiert war. „Okay, also … was jetzt? Übernimmst du die Welt oder was?“
Der Dämon lachte tief und kehlig. „Nein, nein. Ich habe kein Interesse an der Weltherrschaft. Meine Kräfte sind an Leidenschaft geknüpft, nicht an Zerstörung.“
Mia hob eine Augenbraue und spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg.
Bel’Dickius musterte sie nachdenklich.
„Da du mich befreit hast, schulde ich dir einen Gefallen. Alles, was du dir wünschst, kann ich dir gewähren. Reichtum, Macht, Vergnügen jenseits deiner kühnsten Träume.“
Mia hielt inne und dachte über ihre Möglichkeiten nach. Sie konnte um alles bitten.
Sie sagte:
„Wie wär’s mit einem anständigen Freund? Einem coolen Typen, der sich auf eine Beziehung mit mir einlässt? Einem Typen, der nicht auf Polyamorie steht? Der nicht ins KitKat, Berghain und Insomnia geht? Der ein paar Fähigkeiten im Liebesspiel hat, die meine Wünsche erfüllen? Einem Typen, den ich meinen Eltern am Sonntagskaffeetisch als potentiellen zukünftigen Schwiegersohn vorstellen kann?“
Die Stirn des Dämons runzelte sich. Er kratzte sich verwirrt am Kopf. Er sagte:
„Mädchen, du bist hier in Berlin. Sei realistisch. Dein Wunsch übersteigt sogar meine Kräfte. Wie wär’s mit einem Drachen, auf dem du reiten kannst? Oder einer Autobahn über den Atlantik nach New York? Das wäre machbar. Aber so ein Mann, in Berlin, nein.“
Mia seufzte.
„Ich muss jetzt los“, sagte der Dämon. „Viele einsame Frauen warten auf meine Dienste. Aber du kannst mich in jeder Vollmondnacht anrufen, indem du den Namen BelDickius dreimal sagst.“
Und damit verschwand der Dämon in den Schatten und ließ Mia allein im schwach beleuchteten Lagerraum zurück, immer noch nach Luft schnappend.
Sie schüttelte den Kopf, ein verwirrtes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Das seltsamste Halloween aller Zeiten.“
Mit einem Achselzucken kehrte sie zum vorderen Teil des Ladens zurück, ihr Körper zitterte immer noch ein wenig. Der Laden war wieder ruhig, als wäre nichts passiert. Sie nahm erneut ihr Smartphone und wischte durch Tinder.
Manchmal passieren an Halloween wirklich die seltsamsten Dinge.
— Ende —
(c) 2024 by Mister Magic