Ich heiße Zainab, Vicky oder Sharleen
I bims
Ich heiße Zainab, Vicky oder Sharleen – ich bin 13, 14 oder 16 Jahre jung. Ich schminke mich nach den Reels auf TikTok und probiere die Moves der Influencerinnen vor dem Badezimmerspiegel. Ich bin bald erwachsen, die Schule nervt – ich habe oft Angst weil ich nicht weiß wo es lang geht. Dann suche ich auf TikTok, Insta oder YouTube. Stunden später tauche ich wieder auf. Die Angst war weg, aber nun sitze ich wieder hier und bin ja noch ich und das Leben, dem ich auf Social Media folge, ist gar nicht meins. Da wo ich bin ist es leer.
Ich will auf den Arm, will wieder zurück. Einen Lolli kaufen und mit den Teddys Kaffeetafel spielen. Aber ich bin bald erwachsen und muss eine Frau sein – mögen mich Jungs? Ehrlich, ich hab Angst und ich mag sie nicht. Aber ich bin auch kein Opfer und uncool schon gar nicht. Also will ich, dass sie mich mögen.
Mama versteht nichts mehr. Wir waren mal eins. Jetzt ist sie hinter einer Mauer aus Zeit. Andere Generation. Ich bin allein. Und ich habe Angst, denn ich bin jetzt erwachsen. Die anderen rauchen, mir wird schwindlig davon. Aber wir sind hier verschworen auf unserer Seite der Mauer. Wir haben alle eine Zigaretten und lachen und ich bin nicht allein.
Ich heiße Zainab, Vicky oder Sharleen – ich bin 13, 14 oder 16 Jahre jung. Ich schminke mich nach den Reels auf TikTok und probiere die Moves der Influencerinnen vor dem Badezimmerspiegel.
Meine kleinen Brüder nerven, sie poltern an die Tür und sagen ich soll endlich raus dem Bad. Ich schaue mir lange in die Augen im Spiegel, während es an der Badezimmertür hämmert. Verschwommen erahne ich im Bild gegenüber ein bisschen was von mir. Ein kleines Gefühl, wer oder was ich mal sein könnte. Ich will es greifen, fühle Freude – doch dann ist es wieder weg. Da ist wieder Angst und ich bin allein. Ich denke an meine Freundin, sie ist in der Klinik – drei andere aus meinem Jahrgang auch. Sie teilen und liken Videos in schwarz-weiß; mit Texten wie: „Was für ein wunderschöner Tag, hoffentlich mein letzter“ Und dann regnet es animierte rote Rosenblätter im Video zu trauriger Musik vor einer verschwommene schwarz-weißen Straße ins Nichts. Ich habs auch versucht mit dem Ritzen, Stunden später tauche ich wieder auf. Die Angst war weg, aber nun sitze ich wieder hier und bin noch ich und wenn ich das Blut sehe, dann fühle ich das auch.
Ich heiße Zainab, Vicky oder Sharleen – ich bin 13, 14 oder 16 Jahre jung. Ich schminke mich nach den Reels auf TikTok und probiere die Moves der Influencerinnen vor dem Badezimmerspiegel.
Heute ist alles basic – ich fühl mich ganz gut. Das glow-powder macht echt schöne Highlights. Ich sollte mal Beauty-Influencerin werden, mein Style is unlügbar phat. Mein Top ist bauchfrei, also ess ich heut nix. Vor der Schule nehme ich nochmal meinen Teddy auf den Schoß und beschließe Kunsttherapeutin zu werden. Dafür mach ich halt Schule … und es fühlt sich an, als würd das meiner Freundin in der Klinik auch irgendwie helfen.
In der Schule: Unangekündigter Mathetest. Ich bin lost, Digga und reg mich über den Lehrer voll auf.
„Ey, Bro so ein Spast, echt! So ehrenlos, Digga. Ich hass den echt voll.“ Alle stimmen mir zu – ich fühl mich beliebt und kotz noch ein bisschen mehr ab über die Lehrer. Wir sind hier verschworen auf unserer Seite der Mauer … und heute schwankt der Boden unter meinen Füßen weniger als sonst. Gönnjamin, Digga – Läuft bei mir!
Ein Text von Jennifer Kunstreich, Blaue Blume e.V., www.blaueblume.de
Bild: Cosmo & Bing (KI)