Blog

Brücken-Blockade und pöbelnde Passanten (lange Version)

Ina Blume berichtet über ihre Erlebnisse bei „Extinction Rebellion“ in Berlin

Gibt es die Klimakrise wirklich? Was mache ich hier eigentlich? Und wer sind die Leute mit denen ich hier unterwegs bin?

Diese und unendlich viele andere Fragen haben mich in der letzten Woche beschäftigt. Einem spontanen Ruf des Schicksals nach Berlin folgend war ich nun pünktlich hier zur Rebell Week von Extinction Rebellion.

Sonntag Abend: meine erste Anlaufstelle, das Camp vor dem Reichstag. Eine sehr sympathische Atmosphäre zwischen Hippie-Festival und Ferienlager lag über dem Camp. Gefühlt war jede+r „neu dabei“. Ein Haufen fremder Menschen, die eines zu teilen scheint: die Liebe zu unserem Planeten und sozialer Gerechtigkeit.

Montag Mittag vor dem Brandenburger Tor kam ein lieber Gruß von meinem inneren Kritiker: was mache ich hier eigentlich? Gibt es die Klimakrise wirklich?

Ich stand dort, mit 10 Menschen, einem Banner, zwei Trommeln und einem Infostand. Uns gegenüber: unverständliche Blicke, Menschen die weitergehen, Menschen die uns belächeln. Haben sie nicht vielleicht recht? Sollten wir einfach unseren derzeitigen gesellschaftlichen Stand genießen statt hier zustehen und zu protestieren?

Aber dann kam wieder der Gedanke an meine Kinder: was werden sie für eine Zukunft haben? (Welche Temperaturen werden sie im Sommer aushalten müssen? Auf welche klimatischen und sozialen Probleme (z.B. Klima-Flüchtlinge wegen Hungersnöten) werden sie reagieren müssen und welche Verantwortung tragen, die wir jetzt nicht annehmen?) Die Löwin in mir war wieder wach – einstehen statt weg schauen.

Mittwoch: 12:05 Uhr Meditation vor dem Reichstag – standing with the Earth. Stille, eine Stunde lang. (Ein Kreis von Menschen um eine gemalte Erde, gehalten und gerahmt von einem stehenden Kreis, verbunden durch ein symbolisches blaues Band.)

Die Energie war unbeschreiblich – schwer, kaum auszuhalten. Nach wenigen Minuten haben sich die ersten Stehenden setzten müssen, die ersten Sitzenden haben sich hingelegt: es war klar: wir können dieses Thema nicht tragen!

(Gratis zur Schwere gab es wundervolle Kommentare von den vorbei laufenden Menschen. Von „Schau mal, die Idioten!“ bis „Was ist das für eine Sekte mit einer Erde in der Mitte?!“ war die ganze Bandbreite an respektlosen Bemerkungen dabei).

Wir konnten das Thema nicht alleine halten und zudem noch Kritik von Passanten: Tränen flossen mein Wangen herab: Hoffnungslosigkeit machte sich breit und tiefes Mitleid für euch Kinder, die ihr noch die größten Auswirkungen der Erderwärmung vor euch habt; für euch in südlichen Regionen, die ihr jetzt schon unter den Auswirkungen in Form von Stürmen und Hitzeperioden leidet; für all die 200 Arten, die jeden Tag unwiderruflich aussterben.

(Die Geschwindigkeit, mit der Arten derzeit aussterben ist vergleichbar mit der Geschwindigkeit des Artensterbens, als die Dinosaurier (und all die anderen Arten) ausgestorben sind. Damals war er der Einschlag eines Kometen, dieses mal sind es wir. Wir – oder unser Lebensstil – ist ein Kometen-Einschlag für das Ökosystem der Erde.)

Was nun, was tun? Ich recherchierte, wo es die nächste Aktion gibt und entschied mich für eine Brücken-Blockade. Als ich ankam war es friedlich, fast fröhlich, live-Musik, teilweise wurde getanzt. Irgendwie lag über dieser Brücke jedoch etwas bedrohliches, was es ist werde ich erst viele Stunden später begreifen.

Ich war verabredet mit Aktivistinnen aus meiner Heimatstadt und es wurde ein gesprächiger Nachmittag mit warmer Suppe und heißem Tee von liebevollen XR Sympathisanten. (Da ist so viel Herzlichkeit und echte Verbindung zwischen den Menschen zu spüren, die sonst in der Gesellschaft sehr vermisse. Hoffnung kommt wieder auf. Wir Menschen können es also doch, gegenseitig füreinander da sein, ohne direkten persönlichen Vorteil. Vielleicht führt dieser politische Vertrauensbruch doch zu etwas gutem: zu einem liebevollen Miteinander.)

Da ich nun satt und gut versorgt keinen Grund mehr hatte nach Hause zu gehen blieb ich. Es wurde dunkel und es kam die Frage auf, wer dort übernachten möchte. Und da war sie wieder, die Frage: was mache ich hier eigentlich?

Ist es nicht völlig dämlich Streit mit dem Gesetz und der Polizei zu suchen? Lohnt es auf der Straße zu schlafen und ein Bußgeld zu kassieren – immerhin habe ich ja ein zu Hause, für das ich zahle?

Aber da kommt zum Glück die Gegenstimme in mir: Ist es nicht auch völlig absurd, dass wir alle hier sein müssen, um etwas einzufordern, was die Politik 2015 schon per Vertrag in Paris unterzeichnet hat und dennoch fast 5 Jahre lang nicht danach handelt?

Vielleicht aus demselben Grund warum ich bis zum Ende der Woche noch gezweifelt habe, ob es angemessen war mitzumachen: wegen der Hoffnung, dass es sich vielleicht alles einfach so regeln wird, wie auch immer das passieren soll und, dass irgendwer um die Ecke kommt und sagt: „Neuster Stand der Forschung: das mit der Klimakrise ist doch nicht wahr“.

Nun war klar, die Brisanz der Situation kommt in jeder meiner Zellen an, denn nach weiteren inneren Debatten erscheint es mir unwahrscheinlich, dass sich das Thema in Luft auflöst. Ich rufe also meinen persönlichen Klimanotstand aus.

Ich schlafe heute Nacht unter der Brücke. (Auch, weil ich erspüren möchte, wie es den vielen Menschen gehen mag, die wegen Überschwemmungen und Stürmen bereits ihr zu Hause verloren haben und keine Wohlstandsgesellschaft haben, die das kompensieren kann.)

Ein paar Tage später stehe ich am Brandenburger Tor und höre einem kritischen Passanten zu. Er zückt die tief gängigsten Argumente gegen die Aktionen und die Bewegung, die ich je gehört habe. Ich bin am zweifel.

Was, wenn er recht hat und ich dem falschen Pferd aufgesessen bin, einer fragwürdigen Bewegung mich angeschlossen habe und die Ziele bei genauer Prüfung gar nicht für Gerechtigkeit sorgen werden? Schließlich war mein Motto der Woche: Love is my rebellion. Völlig zerstreut gehe ich ins Camp auf der Suche nach Antworten.

Bald wird klar: die endgültige und einzig wahre Antwort was nun wirklich gut und was schlecht, was wahr was falsch ist, lässt sich auch hier nicht finden. Das schöne an Wissenschaft im Gegensatz zu Dogmen ist: in der Wissenschaft gibt es keine absolute Wahrheit bevor eine These eingetreten oder Falsifiziert ist.

Was ich aber ganz sicher weiß, selbst wenn ich dem falschen Pferd aufgesessen bin und dem Teil der Studien geglaubt habe, die sich nicht bewahrheiten werden, es wird für mich niemals verschwendete Zeit sein, dafür einzustehen, dass wir mit der Ausbeutung der Natur und der Menschen aus ärmeren und gefährdeten Regionen aufhören.

Ich möchte am Ende meines Lebens die Welt als einen friedlicheren Ort verlassen, als ich sie vorgefunden haben.

 

Fotos: XR Twitter

Schreibe einen Kommentar