Geschichten

Peter

Eine Geschichte von Manu

Nachdem ich alles gesehen hatte stand ich am Ende seines Gartens vor einer riesigen, alten Birke. Ich schloss die Augen, liess meine Haut von der Sonne liebkosen und atmete den Geruch von frisch gemähtem Gras ein.

Er trat von hinten an mich heran und legte vorsichtig die Arme um mich. Minutenlang verharrten wir regungslos. Ich hörte, wie der Wind die Blätter in dem großen Baum vor mir bewegte und spürte mein Herz schlagen als er vorsichtig begann, mir die Haare von der Schulter in den Nacken zu streichen.

Als mein Hals bloss lag senkte er sein Gesicht und atmete tief ein. Während er meinen Geruch aufsog fühlte ich, wie seine Nase und ein Teil seiner Wange leicht an meiner Haut rieb. Sein warmer Atem strich wie eine Liebkosung über meinen Hals bevor weiche, trockene Küsse folgten. Während ich den Kopf nach hinten sinken und ihn gewähren liess, spürte ich wie die Gedanken meinen Kopf verliessen und Ruhe einkehrte.

Wir würden hier stehen bleiben und nie wieder weg gehen. Wir würden Wurzeln schlagen wie die Bäume um uns herum. Im Winter würde uns der Schnee bedecken während wir unter der weissen Haube eng aneinander geschmiegt zusammenwuchsen. Er würde dafür sorgen das ich nicht fror, und ich würde ihn halten damit ihn nichts entwurzelte.

Irgendwann würde die Sonne den Schnee zum schmelzen bringen und uns aus unserem weissen Kleid schälen. Wenn die Temperaturen wieder unter den Gefrierpunkt sanken würde uns eine Eisschicht aus Tränen bedecken die unsere Züge unwirklich und schön erscheinen liess. In dem Kokon aus glitzerndem, kaltem Glas würden unsere Augen leer sein und in ein ewiges Nichts blicken, aber in unseren friedlichen, versteinerten Zügen würde sich auf ewig die Liebe spiegeln die wir in unseren Herzen trugen.

Nichts könnte uns jemals mehr etwas anhaben. Nichts würde uns mehr trennen. Keine Schmerzen, keine Zweifel und keine Angst. Mit den Sonnenstrahlen im Frühjahr würde Moos unsere feuchte Haut wie ein grünes, samtiges Tuch überziehen. Und schon kurze Zeit später würde man nicht mehr erkennen können wo sein Körper aufhörte und meiner begann.

Ein paar Stunden später lagen wir auf seinem Bett. Sein Schlafzimmer erstreckte sich über das gesamte Dachgeschoss. Und ausser einer frei stehenden Badewanne und seinem Bett befand sich nichts in dem grossen, lichtdurchfluteten Raum.

Von seinem Bett aus konnte man die Wipfel der Bäume sehen. Es war, als wenn wir uns mitten unter ihnen befanden. Wie in einem Nest, dessen Boden von seiner grau-schwarzen Bettdecke statt von Federn gepolstert wurde. Einander zugewandt lagen wir nebeneinander und blickten uns ruhig, und ohne das einer von uns den Blick abwandte, in die Augen.

Ich hätte ewig hier liegenbleiben und in seine Augen schauen können. Ich betrachtete ihn und sah die Müdigkeit in seinem Blick, die feinen Ringe um seine Iris und die dünne, gerötete Haut unter seinen Augen. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über die feinen Linien in seinem Gesicht. Seine Haut fühlte sich weich und warm an.

Dann strich ich durch seine Haare die lang genug waren um sie greifen, und an ihnen ziehen zu können. Als er die Augen schloss und sein Gesicht sich meinem näherte schloss auch ich meine Augen und hob ihm mein Gesicht entgegen. Seine Lippen drückten vorsichtig gegen meine und ich öffnete bereitwillig meinen Mund.

Die erste Berührung unserer Zungen war fremd und erzeugte ein kurzes Störgefühl. Während er ruhig dalag fuhrwerkte er hart in meinem Mund herum. Ähnlich einem Feldherrn der in fremdes Terrain eindrang und sich dort selbstbewusst, aber ungeschickt behauptete. Es schien mir vom Zeitpunkt her unangemessen so hart geküßt zu werden und ich überlegte, ob ich mich zurückziehen sollte.

Doch dann änderte sich der harte Schlag und der schnelle Rhythmus seiner Zunge. Ruhig aber immer noch annektierend schob er sich breit, tief und träge in meinen Mund. Jetzt lag seine Zunge wie eine warme, schwere Decke auf meiner. Erstaunlicherweise blieb der erwartete Würgereflex aus. Wenn sich Speichel gebildet hatte zog er sich zurück und liess mich schlucken bevor er mir seine Zunge erneut tief in den Mund schob.

Während er mich küsste seufzte das blinde, hungrige Wesen in mir auf und seine sehnsüchtigen, verräterischen Töne sprangen wie kleine ungehorsame Kinder aus meinem Mund. Sie liessen keinen Zweifel daran, dass ich kaum noch Widerstand verspürte und ihm alles geben würde.

Wie ein mächtiges, dunkles Tier erhob sich tief in meinem Inneren die Erregung und griff warm und schwer nach meinen Eingeweiden, meiner Haut und meinem Hirn. Seine Zunge füllte mich aus, drückte meine selbst errichteten Wälle ein und flutete mich. Ich genoss es nachzugeben und mich fallen zu lassen während er auf selbstverständliche Art und Weise Besitz von mir ergriff.

Hinter meinen geschlossenen Lidern unterwarf ich mich den Assoziationen die seine Zunge tief in mir hervorrief. Sie weckte verloren geglaubte, aber vertraute und schmerzhaft vermisste Sehnsüchte. Es war mittlerweile eineinhalb Jahre her, dass ich das letzte Mal einen Mann geküsst hatte. Und noch nie zuvor schien es sich so gut angefühlt zu haben.

Mein Körper kapitulierte während sich zwischen meinen Schenkeln Feuchte in Nässe verwandelte. Ich begriff, dass sein Kuss eines der Kunststücke sein musste von denen er geschrieben hatte und das er mich darauf vorbereitete ihm das eine, besondere Kunststück zu zeigen das er mir beharrlich abringen würde.

Während seine Zunge tief in meinen Mund drang erhob die stumme Kreatur in meinem Hirn wortlos ihre Stimme. Würde er mich so gut lieben können wie er mich küsste? Wie würden sich unsere Körper begegnen? Vorsichtig tastend, zärtlich und liebevoll? Liebestoll?

Würde er mich um Erlösung betteln und schreien lassen? Würde er mich so schwach machen das ich mich an ihn klammern und mit meinen Zähnen Halt im warmen Fleisch seiner Schulter suchen würde? Würde ich ihn mit Gewalt von mir halten wollen während mein Körper vor Erregung schmerzte und ich keine weitere Berührung mehr ertragen konnte?

Und würde er mich in diesem Moment festhalten und unerbittlich einfordern das ich kam? Würde er meinen geheimen Rhythmus finden und mich wieder und wieder kommen lassen? Würden meine Orgasmen hintereinander folgen wie an einer Schnur aufgezogene, satt schimmernde, gleichmäßige Perlen? Einer nach dem anderen?

Alles war möglich und trotzdem lagen die wichtigsten, die alles entscheidenden ewigen Fragen ausserhalb des Reichs in dem unsere Körper aufeinander trafen.

Würde dieser Fremde auch meinen Geist in Aufruhr und Erregung versetzen? Würde er ihn hungrig machen und nähren können? Würde er ihn herausfordern und besänftigen? Würde er ihn beschäftigen und springen lassen wie einen Ball der sich an einem unsichtbaren Band befand und an dem er ziehen konnte wann immer ihm danach zumute war? Würde er es schaffen mein Hirn zu ficken?

Und wenn Hirn und Körper endlich satt waren, was würde mit meinem Herz geschehen? Würde er es beruhigen, wärmen und für ihn zum schlagen bringen? Würde ich morgens voller Sehnsucht das Haus verlassen und es kaum erwarten können wieder zu ihm zurück zu kehren?
Würde ich nicht nur lieben sondern auch geliebt werden? Und würde er mein Herz berühren und es vorsichtig in seinen Händen halten?

Würde er?

ENDE

 

Über die Autorin Manu
Die Autorin lebt und lernt neuerdings in Berlin. Wenn sie nicht gerade schreibt, tummelt sie sich im Grossstadtdschungel der paarungswilligen Singles. Trotz 2700 Likes, die sie bei Tinder gesammelt hat, ist es ihr immer noch nicht gelungen, die große Liebe zu finden. Die Suche geht weiter.

Grafik
Klaus Walter
aus der Serie MUSTERBUCH
#5
Siebdruck
35 x 100 cm

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