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Kambo, Kakao, Spiri-Touristen – Kultur oder Kommerz?

Ein Beitrag von Marie

Schamanische Riten im Grunewald, Ayahuasca-Trips in Kreuzberg, Tarot-Kartenlegen in Hellersdorf – in Berlin gibt es einen großen Markt esoterischer und spiritueller Praktiken.
In den verheißungsvollen Eso-Sound-Ankündigungen und Selbstinszenierungen der Healer, Facilitator und Energiearbeiter vermischt sich Marketing-Sprache mit dem Jargon des Heilens;
und wir verlockten Spiri-Touristen melden uns für ein weiteres exotisches Schattenarbeits-Retreat, ein tantrisches Conscious Community-Festival, einen Mystery-Intimacy-Sensuality-Tempel, eine Maya-Kalender-inspirierte Kakao-Zeremonie und die nächste transformatorisch-psychedelische-Trauma-release-journey an.
Heilen, transformieren, integrieren sind die neuen moralischen Imperative der erwachenden, fast ausschließlich weißen Mittelklasse.
Und es scheint mir mehr und mehr, dass die Heilungskultur ihrem Wesen nach eine Kultur des Konsums ist, dass Konsumdenken untrennbar mit der Art und Weise verbunden ist, wie wir über Heilung, Transformation und persönliche Entwicklung denken.
Innerhalb dieser Prozess- und Selbsterfahrungs-fokussierten Healing-Subkultur gibt es kaum einen Diskurs darüber, auf welch vielfältige Weise Konsumismus und Selbstoptimierung die Neue Heilkultur untermauert; die esoterisch/spirituelle Heiler-Szene ist weitestgehend unpolitisch, ja, vermeidet politische Auseinandersetzungen regelrecht.
Ihre Grundannahme ist: Du bist tief drinnen kaputt oder traumatisiert. Ich biete Dir ein Angebot, ein Seminar, Festival, eine emotionale Erfahrung, kurz: ein Produkt, das zu Deiner tiefen Heilung beiträgt; so kannst Du zu Deinem genuin heilen, liebenden Selbst zurückfinden.
Und natürlich bin auch ich in dieser Szene aus Hoffnungen und Sehnsüchten heraus unterwegs und konsumiere Erfahrungen und psychedelische Drogen, um Schmerzen zu lindern und Bedürfnisse zu befriedigen: Die nach Zugehörigkeit, Geborgenheit und Gemeinschaft; ich mag die Warmherzigkeit und das ehrliche Interesse aneinander, das in solchen Gruppen gepflegt wird; ich schätze den alternativen Lifestyle und wie gut es tut, aus dem analysierenden Kopf heraus ins Gefühl und in den Körper, ins Erotische zu kommen; das Interesse an Grenzerfahrungen, Neugier, … immer auf der Suche, der nüchternen, kühlen Atheistin ausgefallene, pseudoreligiöse Erfahrungen und neue Wege der Selbsterkenntnis zu präsentieren.
Dafür bin ich u.a. bereit, mich in Gesprächskreisen Phrasen wie „Es ist alles perfekt, so wie es ist“, „Alles geschieht aus einem bestimmten Grund“, „Das kommt aus einem vergangenen Leben“ und „Man macht immer genau die Erfahrung, die man grade braucht“ auszusetzen und Diskussionen über großzügig verwendete, pseudowissenschaftliche Begriffe wie „Schwingungen“, „Energie“ und das „morphogenetische Feld“ zu führen.
Ich kann mich diesen Exzessen ohne Konflikte mit meinem politisch denkenden und um Integrität ringenden Intellekt hingeben, solange ich sie „Heilarbeit“ nenne; schließlich habe auch ich meine inneren Beschädigungen, die repariert werden wollen.
Aber manchmal wird der innere Konflikt zu groß:
„Erlaube dem Universum, X für Dich zu manifestieren“?
Könnten wir nicht argumentieren, dass wir „dem Universum”, nach heutigem Stand der Wissenschaft, schlicht egal sind, dass das Leben absurd und voller Willkür ist, wir dennoch weiter machen, so gut wir können und schließlich alle, one way and one day or the other, sterben?
Wir werden zu dem Nichts, aus dem wir gekommen sind, bewusstloser dust in the wind – … und wäre das nicht ein gutes Gegenmittel gegen dieses aufgeblasene Gefühl der Universums-Selbstüberschätzung, der Befindlichkeitsfixierung und der systematischen Sterblichkeitsvermeidung?
Ich glaube, die teilweise esoterisch verblendete, abergläubisch motivierte und tendenziell unpolitische Haltung der meisten Healing-events trägt weniger dazu bei, die Welt strukturell zum Besseren zu verändern.
Sie stärkt vielmehr das Selbstbild einer hyperindividualisierten, privilegierten Klasse, die es sich leisten kann, für exotische Selbsterfahrungstrips zu zahlen;
… ich jedenfalls kehre nach einer all-verbundenen Intensiv-Erfahrung als inspiriertes, aufgeladenes, aber nach ein paar Tagen ernüchtertes Rädchen in eine demoralisierte Welt-Maschine zurück: das richtige Leben im Falschen, reloaded.
Kann es sein, dass wir in der Szene damit beschäftigt sind, etwas in uns selbst reparieren zu wollen, das wir krass simplifizieren, dass diese Art von Genesung oberflächlich ist und daher über ein gutes Gefühl während des Weekendworkshops hinaus wenig nachhaltig ist?
Es geht mir nicht darum, die Heilungsreise von irgendjemandem zu moralisieren, auch nicht meine eigene, sondern darum, über die problematischen Aspekte der Heilungskultur und ihrer ideologischen und politischen Untermauerungen nachzudenken.
Ich wünschte, wir würden es in meiner Bubble besser hinbekommen, Kulturen zu schaffen, die auf die sozialen und ökologischen Probleme unserer Zeit eingehen und nicht nur unsere individuellen spirituellen Fantasien und den hedonistischen Erfahrungshunger bedienen.
Dazu habe ich jede Menge Fragen (und wenig Antworten):
In welchem Verhältnis stehen Wellnessangebote, Lifestyle, Selbstoptimierung und Spiritualität?
Kann es sein, dass wir Konsum mit Heilung und Wachstum verwechseln?
Welches Verständnis von Welt, welche Wissenskulturen stecken hinter diesen Angeboten?
In welchem Verhältnis stehen sie zu einem wissenschaftlichen Weltverständnis?
Aus welchen Kulturen stammen die Praktiken, die angeboten werden und wo beginnt problematischer Exotismus? Wie funktioniert die kulturelle Aneignung von fremden Wissenssystemen?
Woher beziehen wir den Salbei, Palo Santo, Kakao, Kambo, Kristalle, etc.?
Was ist Spiritualität überhaupt?
Wie bewusst kann eine Bewusstseinskultur sein, die ihre eigenen historischen und politischen Bedingungen nicht kritisch mitdenkt?
Und was ist die, u.a. in der wachsenden psychedelisch-bewussten Szene, vielbeschworene „Integration“?
Wie könnte die Integration Spiritueller Praktiken ins Politische aussehen, geerdet und mit Blick auf die individuellen, sozialen und ökologischen Notlagen?
Gechanneltes Küsschen und Discussions welcome!
 

Foto: Karolina Grabowska, Pexels